Das Epizentrum liegt in Frauenricht

Erdbebenübung des Technischen Hilfswerks - „Erwartet wird nichts, aber möglich ist alles“

 

Weidsn. (kä)  Benjarnin, Max und Michael, drei Jungs der Weidener THW Jugendgruppe, haben sich unter den Trümmern „eingraben“ lassen. Spürhunde (im Fachjargon „biologische Ortung“) schlagen an. Die Fachgruppe Bergung greift zu den Spaten. Bald besteht Sprechkon­takt. Nach drei Stunden sitzen die drei Buben immer noch „unter Tage“ im Erdhügel. Und müssen mal. In solch dringenden Fälllen sind Abweichungen vom „Drehbuch“ gestattet. Über ein Kanalisationsrohr krabbelt das Trio ins Freie und schlagt sich in die Büsche. „Jetzt aber wieder rein“, mahnt ein THW-Schiedsrichter.

 

Ebeben der Starke 6 im Raum Weiden - das war die Ausgangsbasis für die bisher grüßte Übung des Technischen Hilfswerks des Geschäftsführerbereichs Hof. Das Epizentrum: Frauenricht. Die Bürger lagen noch in den Federn, als die imaginäre Erschütterung gegen 5 Uhr ihren Stadtteil beutelte. Am Samstag um 7.30 Uhr löste die Stadt Katastrophenalarm aus. Über 140 Helfer des THW rückten an. Aus Kulm­bach, Bayreuth, Marktredwitz, Naila, Selb und Kronach rollten 40 blaue Lkw nach Weiden.

 

Eine Erdbebenübung in der Oberpfalz - an den Haaren herbeigezogen? Reiner Hirschfeld  vom THW-Landesverband in München hat sich beim geologischen Institut erkundigt. „Erwartet wird nichts, aber sein könnte das schon.“ Schließlich so der gebürtige Weidener, sei der Parkstein ein erloschener Vulkan. Und das Kontinentale Tiefbohrprogramm stünde auch nicht umsonst ausgerechnet in Windischeschenbach. Außerdem: Es muss ja nicht immer ein Erdbeben sein. Eingestürzte Häuser gibt’s auch bei Gasexplosionen, erläutert Heinrich Günther, Vorsitzender des THW-Ortsverbandes Weiden, Die Schäden und das Vorgehen sind „übertragbar“.

 

Die Helfer aus Hof haben's trotzdem geglaubt. Als am frühen Samstagmorgen der Erdbeben Alarm einging, machten sich die Franken eilends auf den Weg in den Süden. Erst in Frauenricht kam dann die Erkenntnis: „Das ist ja eine Übung.“

 

Dunkel, nass, schlammig

 

Die Fachgruppe „Fükom“ (Führung  und Kommunikation) studiert die Ausgangslage. Im trockenen: Die „Einsatzzentrale Großschadensfall“ hat sich in einem Carport eingerichtet, 25 bis 30 Personen werden vermisst. Fünf sind unter den Trümmern verschüttet. Die Infrastruktur  größtenteils zerstört. Die Wasserver­sorgung zusammengebrochen. Die Organisatoren vom THW Weiden haben ganze Arbeit geleistet.  Der „Erdbebenparcours“ auf dem Übungsgelände hinter Frauenricht bietet Ver­schüttete unter Trümmerfeldern, eingestürzte Häuser, eingeklemmte Verletzte. Nicht organi­siert, aber erschwerend: Es regnete in Strömen.

 

„Dunkel, nass und schlammig“: Die eigen Mutter würde Thorsten Bosch, 24, vom THW Kulmbach (Fachgruppe Räumen) nicht wieder erkennen. Er hat seine Aufgabe schon erfolgreich erledigt. Um einen Vermissten aus einem Kanalrohr zu bergen, robbte er angeseilt durch die braune Brühe. Die orange Schutzkleidung tropft vor Schlamm, die Brillengläser hat er schon geputzt, Bosch ist ehrenamtlich beim THW. „Nach Einsätzen geht man mit dem Gefühl heim, etwas Gutes getan zu haben.“

 

Nicht alle 144 Helfer sind mit diesem Enthusiasmus bei der Sache. ,,Ich hadde heude echt was vor“, klagt Holger aus Helmbrechts, der beim THW seinen Wehrersatzdienst ableistet. Nichts zu machen. „Langer Tag“ ist die Einsatzübung getauft worden. „Die NATO-Übungen heißen auch alle irgendwie“, erklärt Einsatzleiter Norbert Groß. Ein langer Tag  für alle Helfer. Erst gegen Abend sind alle verschütteten geborgen, ist eine Trinkwasserversorgung für 30.000 Bürger aufgebaut, das „Krisengebiet“ ausgeleuchtet. Thorsten Bosch reibt sich die Schmutzränder von der Stirn und sagt, was alle denken: „Nichts wie heim und in die heiße Wanne.“

Der Neue Tag, Weiden 09.10.2000

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