Die Handgranate im Küchenschrank
„Feuerwerker“ Karl-Heinz Hartmann wird mit dem
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet
Von Ulla Baumer
Bärnau.
,,Junge, ich hab' einen Erzschutzengel gehabt!" Der Mann, der mit diesem
Satz über sein Berufsleben räsoniert, ist ein Held. Einer,
der wie in den Action-Spielfilmen nicht
davonläuft, wenn nur noch drei Minuten Zeit bleiben, um eine Bombe
- Typ Langzeitzünder Nr.37 - zu entschärfen. Einer, dem der Schweiß in Strömen
herunterläuft, während der Zeitzünder unbarmherzig weitertickt Einer, der bis zur letzten Sekunde stahlharte
Nerven behält, keine zittrige Hand bekommt oder plötzlich durchdreht, wegläuft
vor der Herausforderung.
Zwischen diesem Mann und einem Kinohelden besteht allerdings
ein gewaltiger Unterschied: Während Stuntmen in Filmen nur
Attrappen die Stirn bieten, lebte Karl-Heinz Hartmann 30 Jahre lang live mit
der Gewissheit, jederzeit beim Entschärfen einer Bombe mit ihr in den Tod
gerissen werden zu können.
62 Jahre seines Lebens hat Karl-Heinz Hartmann hinter
sich, die Hälfte davon stand er in Baugruben, in Hauskellern und auf Dachböden,
auf ehemaligen Kasernengeländen oder draußen auf den Feldern als professioneller
Sprengmeister englischen und amerikanischen Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg
gegenüber.
Was er zu
erzählen hat von diesem Leben in ständiger Gefahr, lässt den „normalbürgerlichen“
Alltag klein und unscheinbar werden. Bei der Bundeswehr im bayerischen Hohenfels
begann 1968 seine ,,explosive“ Berufskarriere. Karl-Heinz
Hartmann absolvierte einen zweijährigen Lehrgang zum Sprengmeister
(damals Feuerwerker). Nach sechs Jahren Munitionsräumen beim Militär übte
er seinen Beruf weiter bei einer privaten Firma aus.
,,Ich habe 90 Prozent der Oberpfälzer
Weiher geräumt, erzählt Karl-Heinz Hartmann von seinem Betätigungsfeld. Die
Oberpfalz und Franken war sein Revier, und es waren nicht gerade wenige Sprengkörper,
die da versteckt neben, unter oder über sorglosen
Menschen schlummerten.
,,Meine erste Bombe sah aus wie ein kleiner Rollschinken,
zehn Kilo schwer, tödlicher Radius 275 bis 300 Meter - viele Splitter, wenig
Sprengstoff." Der erste Einsatz am 2. Februar 1974 im Bundeswehrlager
,,Lechfeld“ bei Grafen - Hartmann wird ihn nie vergessen. Er durfte sie freilegen,
beim Entschärfen vorerst nur zusehen.
Die Nummer 50 mit einem Glas Sekt gefeiert
Bei der 500. geglückten Bombenentschärfung, ein Fünf-Zentner-Gerät in Aschaffenburg, feierten der Sprengmeister und seine Truppe. Wieviele es bis zu seiner Pensionierung waren, weiß er nicht. ,,Danach habe ich sie nicht mehr gezählt.“
Egal, zu welchem Einsatz Hartmann gerufen wurde, der Tod stand ständig in seiner Nähe. ,,Manche mussten wir regelrecht überlisten.
Aber besonders
schlimm sind die Langzeitzünderbomben mit Ausbausperren, die lassen sich nicht
austricksen.“ Glück, Sauglück und später
Können sei es gewesen, zeigt sich Karl-Heinz Hartmann dankbar, dass ihm und
seinen Leuten nie etwas Ernsthaftes passierte
Manchmal habe
er heute Alp träume, schreie im Traum,
wache schweißgebadet auf, sagt er leise - als würde ihm die ständige Gefahr,
in der er lebte, erst jetzt richtig bewusst. ,,Wissen Sie, was wir täglich
dachten: Wer von uns wird der Nächste.
sein?“ Karl-Heinz Hartmann musste
manche Kollegen mit zu Grabe tragen, die nicht so viel Glück hatten wie er.
,,Und das Schlimmste war, es deren Frauen beizubringen..."
Simulierten Sprengstoff für
Hunde entwickelt
Der Sprengmeister a.D. berichtet von Bomben mit 36 Zentner Gewicht, von Phosphatbomben,
von einer scharfen Mine, die eine arglose Frau als Blumentopfständer benutzte.
Seine Erfahrungen fanden in der Wissenschaft ein Feedback: Hartmann
arbeitete an einem sprengtechnischen Öffnungsverfahren von Bomben mit: ,,In
diesem Verfahren wird die Bombe aufgesprengt. Der dafür berechnete Sprengstoff
muss so beschaffen sein, dass das Ding nicht selbst mit hochgeht.“ Auch bei
der Erfindung eines simulierten Sprengstoffs
zur Ausbildung von Sprengstoffsuchhunden war er maßgeblich beteiligt. Hundeführer
von Zoll, Polizei und BGS hat er ausgebildet. Später wurde er Mitglied beim
Technischen Hilfswerk, rettete Verschüttete aus Häusertrümmern.
Immer
in Sorge um die Sicherheit seiner Mitmenschen tragen selbst die amüsanten
Geschichten seines Lebens einen makabren Zug: ,,Einmal mussten wir zum Dachstuhl eines Wohnhauses.
Dort steckte eine Stabbrandbombe. Die Hausfrau hat die
Bombe sogar beim Saubermachen des Dachbodens mitgeputzt!“ Hartmann wollte
im Nachhinein
auf die Gefahr aufmerksam machen.
Doch dann
blieb selbst ihm die Spucke vor Entsetzen über so viel Sorglosigkeit weg: ,,Als
wir gehen wollten, sagte die Frau zu
mir ,,lch habe noch was“ und drückte mir eine scharfe Handgranate in die Hand. Sie hat
die Granate, eine Hinterlassenschaft ihres Mannes, jahrelang im Küchenschrank
aufbewahrt.“ Dieser Frau wurde der Ernst der Sache nie bewusst. ,,Nett, dass
Sie sie mitnehmen...“, bekam der Sprengmeister noch zu hören.
,,Nett, dass Sie sie für mich mitnehmen.“
Was den Mann mit den harten
Nerven in Rage versetzen konnte: Manchmal versteckten sich Leute, obwohl das
Gebäude wegen einer Bombe geräumt worden war, in den Wohnungen. Hartmann war
allein für die Sicherheit verantwortlich. Ertappte er einen dieser
Schaulustigen ließ er ihn sofort von der Polizei abholen.
Schmunzeln muss er noch heute
über ein Erlebnis, dessen Schauplatz
er aus Rücksicht auf die Betroffenen lieber verschweigt.
Eine Meldung über Handgranaten rief seinen Trupp zu einem Gebäudeblock, den
die Polizei - trotz Hartmanns Hinweis, dies sei nicht notwendig – übers ganze
Wochenende geräumt hatte. 20 Familien verbrachten zwei Nächte wegen der vermeintlichen
Granaten in der Schultunhalle.
Was
der Sprengmeister dann auf dem Dachboden fand: Ein paar sogenannte ,,Tannenzapfen“
- nichts weiter als Gewichte einer Kuckucksuhr. ,,Ich wollte den Polizeichef
nicht blamieren. Draußen war ein Aufgebot an Schaulustigen und Presseleuten.“
Hartmann spielte das Spiel zu Ende, klärte den Polizeichef erst später über
den peinlichen Irrtum auf.
Diese lustig endende „Sprengkommando-Episode“
war allerdings die seltene Ausnahme. Meist galt es, die Frage ,,Wieviele Minuten
haben wir denn noch?“ zu klären: fachmännisch und ohne Panik nicht nur zu
klären, sondern die Ursache dieser Frage mit technisch hochsensiblem Fachwissen,
einer ruhigen Hand und einer gehörigen Portion
Überwindung des eigenen, inneren ,,Schweinehundes“ schleunigst zu beseitigen.
,,Und manchmal blieben uns nur drei Minuten.“
Weglaufen war da nicht drin - sonst hätte es ein anderer
tun müssen: ,,Sobald ich merkte, dass es schwierig wird, schickte ich meine
Mitarbeiter fort.“ Dann war Karl-Heinz Hartmann mit sich und der tödlichen
Gefahr alleine, konzentrierte sich nur
noch auf das Problem - um es in letzter Sekunde zu lösen.
Nicht nur einen Schutz-,
sondern Erzschutzengel
Wie es ausgehen werde, habe er nie gewusst. ,,Junge,
ich hab' nicht nur einen Schutzengel, ich hab einen Erzschutzengel gehabt.“
Der Hamburger Slang dringt da durch, der Feuerwerker a.D. hat ihn nie ganz
verloren. Mit seiner Frau Anita, einer gebürtigen Bärnauerin, hat er sich
in die kleine Knopfstadt zurückgezogen. Seit drei Jahren ist er in Pension.
Und er gibt zu, dass er sich
anfänglich nur schwer von seiner ,,Berufung“ trennen konnte. Aber sein hervorragender
Ruf als Sprengmeister eilt ihm schon wieder nach: Das Bundesverdienstkreuz
am Bande bekam er schon 1984 von Gustl Lang. Die Exklusivausgabe ,,Bundesverdienstkreuz 1. Klasse“ wird nur
selten verliehen - Karl-Heinz Hartmann erhält sie am kommenden Montag.
aktuelle Oberpfälzer Rundschau 1. Februar 2001